Militär-Humoreske von Viktor Laverrenz(Znaim)/Heimr.v.Reuß(Hagen)
in: „Znaimer Tagblatt” vom 28.07.1901
in: „Hagener Zeitung”, Unterhaltungsblatt vom 9.6.1897
Meinem Rittmeister etwas recht zu machen, war ein schweres St&uauuml;ck Arbeit. Wir Einj&aauuml;hrigen bestrebten uns zwar aus Leibeskr&aauuml;ften, ihm zu Willen zu sein, winkten uns doch zu Ostern die so heiß ersehnten Knöpfe, die bekanntlich den höheren Grad der Gemeinheit verkünden; manchmal aber war es wirklich zum Verzweifeln, daß man mit der Anwendung des allergrößten Raffinements es nicht erreichen konnte, seine Zufriedenheit zu erwerben. Zu Zeiten kam es uns gerade so vor, als wolle er uns absichtlich chikanieren; das muß aber wohl fata morgana gewesen sein, denn ein Rittmeister wird doch nicht...!
Ein Steckenpferd von ihm war der Haarschnitt; „militärisch kurz,” war seine Losung; darauf ritt er mit Vorliebe herum. Wehe, wenn jemand mit Haaren in den Dienst kam, die seiner Ansicht nach lang waren; und das waren sie immer, wenn sie aus der Kopfhaut hervorsahen. Die Gemeinen hatten daher, um allen Unannehmlichkeiten ein für allemal aus dem Wege zu gehen, fast durch die Bank die Köpfe ratzekahl abscheren lassen. Wir Einjährigen hatten aber diese Mode nicht mitgemacht. Lieber Gott, man lebt doch in der Gesellschaft und hat Rücksichten zu nehmen, da kann man doch nicht herumlaufen wie ein Sträfling. Was hätten z. B. die jungen Damen gesagt, wenn man mit solcher Frisur zum musikalischen Thee gekommen wäre.
Eines Tages hatten wir Reitstunde auf dem Kasernenhof. Der Rittmeister wimmelte zwischen den Abteilungen herum und „korrigierte” nach Kräften. Den Einjährigen v. A. bei der Nebenabteilung hatte er soeben hübsch „zusammengebogen” und ich wartete nun auf den Moment, wo das Donnerwetter bei mir ausbrechen würde, das heißt, wo der Gestrenge in meine Abteilung dringen würde; wir waren, wie der terminus technicus lautet, alle „mächtig im Druck.”
Ich weiß nicht, woher es kam, unser Schwadronschef konnte die Einjährigen nicht leiden; obgleich wir fünf, die wir in diesem Jahre unter ihm dienten, uns verzweifelt „zusammenrissen,” er hatte ewig etwas an uns rumzuquengeln. Es war gradezu, als ob ihm der Anblick eines Einjährigen die Laune verdürbe. Nichts war ihm recht. Machten wir ernste Gesichter, dann behauptete er, es käme ihm vor, als hätten wir keine Lust und Liebe zum Dienst, sonst würden wir nicht solche „Flebben ziehen” und die „Mäuler bis in den Sand” hängen lassen, bestrebten wir uns dann, unserm Antlitz einen freundlicheren Ausdruck zu geben, dann versprach er uns den „Ernst des Dienstes”, beibringen zu wollen; wir sollten uns nicht etwa einbilden, die Reitstunden seien dazu da, daß wir uns amüsierten. Na wahrhaftig, das wußte er mit Erfolg zu verhindern.
Jetzt kam er an und trat in unsere Abteilung. Wir hatten einen starken Trab angelegt und mein Pferd „warf” fürchterlich; ich flog bei jedem Schritt 50 Centimeter hoch. Da ich an der Téte ritt, mußte ich mich doppelt zusammennehmen. Ich that was in meinen Kräften stand, denn ich fühlte ordentlich, wie die Augen des Rittmeisters sich in mich hineinbohrten. Innerlich stöhnte ich, aber ich mußte wohl eine tadellose Figur zu Pferde machen, denn der Rittmeister sagte nichts. Nach einem Weilchen ließ er halten, „korrigierte” höchst persönlich den Sitz, d. h. er rückte die Beine der Rekruten zurechrt, daß diese glauben mußten, er wolle sie ausreißen. Ich atmete ganz im stillen auf, weil er drüben auf der mir entgegengesetzten Seite war und ich glaubte, ich wäre für heute seinen Argusaugen entronnen, da rief er plötzlich ganz unvermittelt über den Platz: „Der Einjährige L. hat ja wieder ein Lockenchignon! Wenn Sie sich noch einmal unterstehen, mit so langen Haaren in Dienst zu kommen, wie ein Musikreferent, dann sprechen wir uns!”
Ich muß gestehen, daß ich herziich wenig Sehnsucht nach einer Unterhaltung mit ihm hatte, denn diese hatten immer einen etwas einseitigen Charakter, indem er nämlich sprach und zwar ziemlich kräftig, während ich gefälligst das — pardon - den Mund zu halten hatte.
Sehr schlimm mußte es wohl aber mit der Länge meiner Haare nicht sein, sonst hätte er mich nicht so leichten Kaufes davon gelassen. Sobald] der Dienst aus war, lief ich, um nur ja nichts zu versäumen direkt von der Kaserne zum Friseur, ohne - man denke - Mittagbrot gegessen zu haben, gewiß ein Zeichen, daß mir der Dienst über alles ging.
Der Friseur hatte früher auch einmal gedient und wußte, was „militärisch kurz" bedeutet; ich gab mich ihm also vertrauensvoll in die Hand und ließ mir den Kopf nach den Intentionen unseres Rittmeisters bearbeiten. Bedauernd sah ich meine Haarspitzen als Opfer eines herrischen Tyrannen unter der Schere eines Schergen so grausamer Vorschriften zu Boden fallen.
Mit der frohen Zuversicht, die ein gutes Gewissen verleiht, kam ich am anderen Tage in den Dienst. Der Rittmeister wimmelte wieder zwischen den Abteilungen herum und korrigierte, daß die Scheiben an dem Stallgebäude klirrten. Gegen Ende der Stunde war er bei derjenigen Abteilung, an deren Téte mein Kamerad St. ritt. Da vernahm ich die durchdringende Stimme meines Rittmeisters: „Der Einjährige St. reitet ja wieder mit einem Chignon.”
Soweit war die Sache nicht besonders merkwürdig, denn diese Behauptung hörten wir, wenn sie auch an sich gewagt war, ziemlich häufig. Es kam aber noch ein Nachsatz, der mich sehr lebhaft interessierte, leider nicht von der angenehmsten Seite. Der Graf sagte nämlich:„Ich habe schon den Einjährigen L. gestern deshalb zur Rede gestellt. Treten Sie mal „beide” heute abend um sechs Uhr mit geschnittenen Haaren bei mir an.”
Das war eine hübsche Ueberraschung für mich. Ich, der ich gestern mit einem blauen Auge davongekommen, sollte heute mit antreten, weil mein Kamerad zu lange Haare hatte. Mir schien dies eine Ungerechtigkeit zu sein. Aber sagen darf man so etwas beileibe nicht, nicht einmal denken, denn ein Vorgesetzter ist niemals ungerecht.
Nach dem Dienst machte ich meinem Freunde St. heftige Vorwürfe, daß ich durch seine Schuld! heute mit antreten müßte. Der aber warf einen bedeutungsvollen Blick auf mein Haupt und sagte: „Denkst Du denn etwa, Deine Haare simd kürzer als die meinigen? Dann bist Du schief gewickelt.” Ich erschrak beinah vor der Kühnheit dieser Behauptung und erwiderte einigermaßen entrüstet: „Erlaube mal, ich habe mir erst gestern die Haares schneiden lassen.”
„Dann laß Dir nur Dein Geld wiedergeben. Uebrigens,” fuhr er fort, „ich habe eine Idee, die ich mit der mir angeborenen Bescheidenheit für sehr schlau halte. Wir gehen beide zu dem Hoffriseur Weinholtz, wo der Graf sich die Haare schneiden läßt. Der kennt seine Mucken. Und wenn der Rittmeister wirklich etwas auszusetzen hat, dann schieben wirs einfach auf Weinholtz."
Dieser Vorschlag erschien mir so außerordentlich plausibel , daß ich beschloß, die Kosten für einen erneuten Haarschnitt bei dem Hoffriseur daran zu wagen, obgleich ich erst gestern unter der Schere eines Verschönerungsrates geblutet hatte. Wir machten uns auf den Weg und der Rest meiner Haare fiel unter den grausamen Streichen jenes unbarmherzigen eisernen Folterinstruments in der Hand eines herzlosen Büttels.
Am Abend machten wir uns beide in todellosestem Ordonnanzanzuge auf den Weg zu unserm Rittmeister. Er war im Kasino und wir ließen uns ihm melden. Ein wenig mußten wir warten, dann erschien er in einer ziemlich wohlwollenden Stimmung, denn er hatte gut diniert. Seine schwarzen Augen maßen uns von oben bis unten; er schien zufrieden zu sein. Dann kommandierte er plötzlich: „Czapka ab.” Wie der Blitz rissen wir die blanken Dinger vom Kopfe und standen nun entblößten Hauptes vor unserem gestrengen Vorgesetzten, der uns mit seinen Blicken sozusagen sezierte. Seine Augen schienen jedes Haar auf unserm Haupte einzeln zu betrachten. Je mehr er forschte, desto mißbilligender schüttelte er den Kopf, er schüttetre immer heftiger und heftiger; schließlich brach er in die denkwürdigen Worte aus:
.„Welcher Schuster hat Ihnen denn die Haare geschnitten?”
Wir hielten dies zuerst nicht für eine direkte Frage, auf die wir antworten sollten, sondern für einen Vorwurf. Trotzdem hatter wir Mühe, unsere Fassung zu. bewahren. Der Graf aber erwartete diesmal thatsächlich eine Antwort von uns und wiederholte daher ziemlich laut.
„Nun sagen Sie mir blos, bei welch' einem Schuster Sie sich haben die Haare schneiden lassen!” Da der Chef mich dabei besonders scharf ansah, antwortete ich prompt:
„Bei dem Hoffriseur Weinholtz, Herr Graf.”
Der Rittmeister war einen Augenblick verblüfft. Mit großer Geistesgegenwart faßte er sich jedoch und sagte: „Der Mensch hat jedenfalls keine Ahnung, was ein militärischer Haarschnitt ist und ich bitte mir aus, daß Sie sich den Kopf nicht wieder so verunstalten lassen. Das ist ja ein Skandal. Sie sehen ja aus, wie ein entlassener Zuchthäusler. Da nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrem Kameraden, der sieht vorschriftsmäßig aus. Lassen Sie sich in Zukunft auch da schneiden, wo er sie sich hat schneiden lassen. Abtreten.”
Der Graf klirrte ab. Begreiflicherweise war ich unter der Last so furchtbarer Anklagen moralisch zusammengebrochen; mein Kamerad St. aber hatte Mühe gehabt, bis zum Verschwinden des Rittmeisters an sich zu halten. Jetzt platzte er laut heraus und schüttelte sich förmlich vor Lachen.
Bei so so verschiedenon Stimmungen gingen wir ziemlich uneinig auseinander. Ich war selbstverständlich auf das äußerste empört, während St absolut nicht wieder ernst werden wollte. Freilich der hatte Ursache zu lachen. Ein gutes aber hatte die Geschichte doch: der Graf hat nie wieder einen Einjährigen zur Prüfung des Haarschnittes anltreten lassen.
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